Erstreckung der Verlustverrechnungsperiode
Die Zulässigkeit einer periodenübergreifenden Verlustverrechnung lässt sich primär auf Basis des Totalgewinnprinzips (Gewinne eines Unternehmens über die ganze Lebensdauer) begründen, welches wiederum im verfassungsrechtlichen Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seine Rechtfertigung findet. Aufgrund der Anforderungen des Periodizitätsprinzips, das auf Stufe der direkten Bundessteuer gesetzlich in Art. 80 Abs. 1 DBG und Art. 79 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 58 Abs. 1 lit. a) DBG verankert ist, kann eine steuerliche Verlustverrechnung allerdings lediglich innerhalb eines begrenzten Zeitraums erfolgen, der sich zurzeit auf sieben Jahre bemisst.
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Der Bundesgesetzgeber strebt derzeit eine Ausdehnung dieser Verlustverrechnungsperiode auf zehn Jahre an, nicht zuletzt, um zur weiteren Erholung der durch die Pandemie geschädigten Unternehmen beizutragen (Motion 21.3001). In diesem Sinne ist auch angedacht, dass die Ausweitung der Verlustverrechnungsperiode ihre Geltung für Verluste ab dem Steuerjahr 2020 entfalten soll. Nebst einer steuerlichen Entlastungsfunktion soll die Verlängerung der Frist für Verlustvorträge die Gleichbehandlung von Unternehmen in Verlustsituationen sicherstellen bzw. insbesondere im Vergleich zur heutigen Regelung erhöhen. Der vorliegende Blogbeitrag thematisiert den Hintergrund der geplanten Reform zur steuerlichen Verlustverrechnung, vermittelt einen Überblick über ihre wesentlichen Eckpunkte und beleuchtet diese kritisch mit Blick auf ihre konkrete Ausgestaltung, insbesondere die Verbindung mit der Covid-19-Pandemie.
Geltendes Recht und Bedarf zur Neuregelung
Gemäss dem Totalgewinnprinzip stellt die Summe aller Geschäftsperiodenergebnisse eines Unternehmens dessen Totalgewinn dar, d.h. jenen Gewinn, der während der gesamten Lebensdauer eines Unternehmens erwirtschaftet wird und auf diese Weise seine volle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wiedergibt. Auch wenn nach dieser Auffassung eine zeitlich unbeschränkte Verlustverrechnung angemessen wäre, wird dieses Prinzip durch den rechnungslegungsrechtlichen Anspruch einer periodengerechten Verbuchung von Ertrag und Aufwand eingeschränkt. Da dem Erfordernis der periodischen Besteuerung als auch dem Totalgewinnprinzip angemessen Rechnung zu tragen ist, hat der Gesetzgeber im Rahmen dieses Spannungsverhältnisses bislang eine zeitlich begrenzte Verlustverrechnung auf sieben der Steuerperiode vorangegangenen Geschäftsjahre vorgesehen.
Vor allem in der Folge der Pandemie erkennt das schweizerische Parlament allerdings einen Handlungsbedarf zur Anpassung bzw. Erweiterung des ordentlichen Verlustvortrags von sieben auf zehn Jahre. Die derzeitige Regelung birgt das Risiko, eine Ungleichbehandlung von Unternehmen trotz gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit herbeizuführen. Davon betroffen können juristische Personen oder selbständig erwerbende natürliche Personen sein, sofern sie beispielsweise einmalig einen hohen Verlust und in den Folgejahren mehrmals geringe Gewinne erwirtschaften. Auch können solche Unternehmen benachteiligt werden, die über mehrere Steuerperioden geringere Verluste und in der Folge bescheidene Gewinne erzielen. Unter Umständen kann dies bei den entsprechenden Unternehmen in einem Untergang von verrechenbaren Jahresverlusten und damit in einer Überbesteuerung resultieren. Die Notwendigkeit einer verstärkten steuerlichen Entlastung für Unternehmen in Verlustsituationen wird nicht zuletzt durch die während der Pandemie verzeichneten Verluste in beachtlicher Höhe hervorgehoben.
Zeitliche Beschränkung der Verlustverrechnung
Die aktuelle Vorlage zielt mit der Erstreckung der Verlustverrechnung u. a. darauf ab, eine umfassendere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Unternehmen zu ermöglichen. Die Verlustverrechnung soll in diesem Sinne ausgedehnt, aus diversen Gründen allerdings nach wie vor zeitlich beschränkt zugelassen werden. Nebst haushaltspolitischen Interessen der öffentlichen Hand, vor allem in Bezug auf eine grössere Planungssicherheit, wird vorgebracht, dass ein solcher Entscheid auch aus Praktikabilitätsüberlegungen für Unternehmen sinnvoll erscheint. Ohne eine zeitliche Beschränkung der Verlustverrechnung müssten Unternehmen ihre Geschäftsunterlagen vom erstmaligen Bestehen bis zu ihrer Liquidation aufbewahren, was mit einem beachtlichen administrativen Mehraufwand verbunden wäre. Die geplante Ausweitung der Verlustverrechnung auf 10 Jahre orientiert sich denn auch an den Fristen zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gemäss OR.
Finanzielle Auswirkungen der Reform
Auf lange Sicht bewirkt eine verlängerte Verlustvortragsperiode, dass Wirtschaftsakteure, die einmalig grössere Verluste oder kleinere Verluste in mehreren Geschäftsjahren erzielen, einer tieferen Gesamtsteuerbelastung ausgesetzt werden. Durch die steuerliche Entlastung stehen den entsprechenden Unternehmen mehr finanzielle Mittel für ihre Geschäftsaktivitäten zur Verfügung. Besonders auch neu gegründeten Unternehmen mit einer längeren Aufbauphase, in der hohe Investitionen ins Wachstum und die Weiterentwicklung von Produkten getätigt werden, kommt es zugute, wenn die in dieser Phase erlittenen Verluste zu einer verlängerten Verrechnung mit späteren Gewinnen zugelassen werden.
Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass eine Erstreckung der Verlustverrechnungsperiode höchstwahrscheinlich mit jährlich wiederkehrenden Mindereinnahmen auf Bundes- und Kantonsebene verbunden ist, deren Höhe allerdings nicht genau abschätzbar ist. Geringere Einnahmen dürften sich ergeben, wenn Gesellschaften, die Verluste über mehr als 7 Jahre erzielt haben, nach einer erfolgreichen Sanierung wieder Gewinne erwirtschaften, welche sie mit steuerlich noch nicht genutzten Verlusten von mehr als 7 Jahren verrechnen können. Im Weiteren sind Mindereinnahmen möglich, wenn Start-Up-Unternehmen erst nach einer längeren mehr als 7 Jahre dauernden Verlustphase Gewinne schreiben, welche infolge der Ausdehnung der Verlustverrechnung über eine längere Periode mit Verlusten verrechnet werden können.
Beurteilung der Vorlage
Obschon der Vorschlag zur Ausweitung der Verlustverrechnung auf zehn Jahre angesichts einer erforderlichen Abwägung zwischen Totalgewinn- und Periodizitätsprinzip ausgewogen erscheint, ist steuertechnisch nicht nachvollziehbar, weswegen die Reform mit der Covid-19-Pandemie verknüpft werden soll. Trotz der Tatsache, dass die neue Regelung Unternehmen u.a. beim Wiederaufbau des Geschäfts nach der Pandemie unterstützen vermag, besteht kein Grund, eine Beschränkung der Rückwirkung auf Verluste ab 2020 vorzunehmen. Um zu gewährleisten, dass die Massnahme unmittelbar praktische Auswirkungen hat, wäre es steuersystematisch wünschenswert, den Zeitraum der Verlustverrechnung allgemein auf zehn Jahre ab Inkrafttreten der Vorlage auszudehnen und die neuen Regeln zur Verlustverrechnung auch für Verluste vor der Steuerperiode 2020 zur Anwendung zuzulassen. In diesem Sinne haben sich auch diverse teilnehmende Verbände im vor kurzem endenden Vernehmlassungsverfahren geäussert.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob das angestossene Reformvorhaben nicht auch dafür genutzt werden sollte, eine grundsätzlichere Diskussion zur Thematik der Verlustverrechnung zu führen. Zu denken wäre z.B. an die Einführung einer Möglichkeit des Verlustnachtrags, wie dies heute bereits der Kanton Thurgau für die Zwecke der Staats- und Gemeindesteuern vorsieht. Dies würde Unternehmen dazu berechtigen, in der Gegenwart erzielte Verluste mit Gewinnen aus vorangegangen Steuerjahren zu verrechnen, wodurch sich auf lange Sicht ebenfalls Überbesteuerungen vermeiden liessen und eine weiterreichende Umsetzung des Totalgewinnprinzips gewährleistet wäre. Diese Thematik sollte insbesondere auch unter dem Aspekt der Erhaltung der (Steuer)-Attraktivität der Schweiz im internationalen Verhältnis beleuchtet werden. In Bezug auf die Verlustverrechnung gehört die Schweiz aufgrund deren relativ starker Einschränkung nicht zu den attraktivsten Ländern. Direkte Mitbewerber der Schweiz, darunter diverse EU-Staaten, weisen zum Teil wesentlich längere (z.B. 17 Jahre in Luxemburg) oder gar unbefristete (z.B. in Deutschland, Italien und Österreich) Verlustverrechnungsperioden auf. Wenige Länder kennen zusätzlich einen Verlustnachtrag, darunter auch Deutschland und Frankreich als Nachbarstaaten der Schweiz. Um die steuerliche Attraktivität des Standorts Schweiz aufrechtzuerhalten bzw. insbesondere im Vergleich zu anderen Staaten zu steigern, sollte die Einführung weiterer Lockerungen für die Verlustverrechnung in Betracht gezogen werden.