Steuerdomizilwechsel in der Schweiz: Beweislast und Zuständigkeit

Die Verlegung des Hauptsteuerdomizils ist ein klassischer Streitpunkt im interkantonalen Steuerrecht. Dieser Beitrag bietet einen aktuellen Überblick über die Voraussetzungen für einen Steuerdomizilwechsel in der Schweiz und zeigt auf, welche Partei in Wegzugs- und Zuzugssituationen die Beweislast trägt – und welche Folgen bei Beweislosigkeit drohen.

Grundlagen zum Steuerdomizil in der Schweiz

Ein häufiger Streitpunkt im interkantonalen Steuerrecht ist die Frage nach dem Ort der unbeschränkten Steuerpflicht, also nach dem Hauptsteuerdomizil. Besonders bei natürlichen Personen sorgt die Verlegung des Wohnsitzes, insbesondere in einen steuerrechtlich günstigeren Kanton, regelmässig für Konflikte.

Nach ständiger Rechtsprechung befindet sich der steuerrechtliche Wohnsitz einer Person an dem Ort, an welchem sich der nach objektiven, äusseren Umständen zu bestimmende Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befindet. Für die Begründung eines neuen Hauptsteuerdomizils müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

1. tatsächlicher Aufenthalt (objektiv)

2. und die Absicht, dauerhaft zu bleiben (subjektiv).

Massgeblich ist dabei nicht der persönliche Wille der natürlichen Person, sondern die objektiv erkennbare Absicht.

Der steuerrechtliche Wohnsitz ist somit nicht frei wählbar. Indizien wie die Hinterlegung der Schriften oder die Ausübung politischer Rechte können Hinweise geben, sind aber nicht allein entscheidend (vgl. zum Ganzen BGer 9C_173/2024 vom 19. Dezember 2024, E. 3.3).

Die Verlegung des Wohnsitzes erfordert sodann keine vollständige Lösung der Verbindungen zum alten Wohnsitz. Es genügt, dass die Beziehungen zum neuen Wohnort bei einer gesamthaften Betrachtung als relevanter erscheinen (vgl. BGE 150 II 244, E. 5.6.5).

Beweislast beim Steuerdomizil: Wer muss was belegen?

In Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes obliegt es den Steuerbehörden, sämtliche relevanten Tatsachen nachzuweisen. Kann die Steuerbehörde eine relevante Tatsache nicht mit verhältnismässigem Aufwand direkt feststellen, darf sie Indizien heranziehen und daraus auf Tatsachen schliessen (sog. natürliche Vermutungen). Der Steuerpflichtige kann diese natürliche Vermutung entkräften, indem er die Indizien (Vermutungsbasis) oder die relevante Tatsache (Vermutungsfolge) widerlegt (vgl. BGE 148 II 285, E. 3.1.1 und 3.1.2).

In Bezug auf das Hauptsteuerdomizil anerkennt das Bundesgericht die folgende natürliche Vermutung:

Ist aufgrund bestimmter familiärer Verhältnisse während mehrerer Steuerperioden vom Lebensmittelpunkt an einem bestimmten Ort auszugehen und stösst die Steuerbehörde bei ihrer Untersuchung nicht auf gegenteilige Hinweise (Vermutungsbasis), ist darauf zu schliessen, dass sich an den massgebenden Verhältnissen nichts geändert hat (Vermutungsfolge) und sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen für die darauf folgende Steuerperiode weiterhin am besagten Ort befindet (vgl. BGer 2C_73/2018 vom 3. Juni 2019, E. 3.3).

Der Steuerpflichtige kann diese natürliche Vermutung umstossen, indem er darlegt,

- dass der Lebensmittelpunkt in den Vorperioden falsch festgelegt worden ist (Widerlegung der Vermutungsbasis) oder

- sich die Verhältnisse in der massgeblichen Zeit geändert haben (Widerlegung der Vermutungsfolge).

Folgen der Beweislosigkeit: Objektive Beweislast im Steuerrecht

Kann eine relevante Tatsache trotz allen zumutbaren Untersuchungsaufwands seitens der Steuerbehörde nicht bewiesen werden, stellt sich die Frage, wer die Folgen der Beweislosigkeit trägt (sog. objektive Beweislast).

Grundsätzlich gilt, dass derjenige die objektive Beweislast für eine Tatsache trägt, der aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 ZGB analog). Im Steuerrecht hat die Praxis diesen Grundsatz dahingehend konkretisiert, dass steuerbegründende und -erhöhende Tatsachen von der Steuerbehörde, steuerausschliessende und -mindernde Tatsachen vom Steuerpflichtigen nachzuweisen sind (vgl. BGE 148 II 285, E. 3.1.3).

Zieht der Steuerpflichtige in einen anderen Kanton und möchte dort eine neue Steuerpflicht begründen, liegt ein sog. «Wegzug-Sachverhalt» vor. Für den Wegzug-Kanton wirkt sich dies steuermindernd bzw. -ausschliessend aus. Der Wegzug-Kanton kann sich auf die natürliche Vermutung berufen, dass sich die massgebenden Verhältnisse nicht geändert haben und sich der steuerrechtliche Wohnsitz weiterhin am bisherigen Ort befindet. Gelingt es dem Steuerpflichtigen nicht, die natürliche Vermutung umzustossen, trägt er die Folgen der Beweislosigkeit und es bleibt beim bisherigen Steuerdomizil.

Für den Fall, dass ein Kanton eine neue Steuerpflicht begründen möchte, nachdem er in den vorderen Jahren anerkannt hat, dass sich das Steuerdomizil in einem anderen Kanton befindet, liegt ein sog. «Zuzug-Sachverhalt» vor. Die Tatsache wirkt sich für den Zuzug-Kanton steuerbegründend bzw. -erhöhend aus. Es obliegt demnach den Steuerbehörden des Zuzug-Kantons nachzuweisen, dass sich die massgebenden Verhältnisse geändert haben. Gelingt ihnen dies nicht, tragen sie die Folgen der Beweislosigkeit und es bleibt beim bisherigen Steuerdomizil. Die steuerpflichtige Person ist jedoch auch hier im Rahmen des Zumutbaren zur Mitwirkung verpflichtet.

Praxisfall: Wegzug-Sachverhalt

Im Urteil BGer 2C_415/2019 vom 20. Dezember 2019 ging es um den Veranlagungshorizont der steuerpflichtigen Person A von 2004 bis 2010. Die Zeit zwischen 2004 und 2008 wurde nicht bestritten, und es wurde anhand verschiedener Indizien der Steuerwohnsitz im Kanton Luzern angenommen: Person A besass eine Eigentumswohnung mit hohem Ausbaustandard, liess ihren Hund in Luzern tierärztlich versorgen, abonnierte Zeitschriften und liess Bestellungen an diese Adresse liefern.

2009 meldete sich Person A im Kanton Zug an, wobei sie zunächst Büroräumlichkeiten als Wohnsitz angab und später eine 1,5-Zimmer-Wohnung mietete, obwohl die Eigentumswohnung in Luzern weiterhin zur Verfügung stand. Die kantonalen Steuerbehörden von Luzern sahen dies nicht als Änderung der Verhältnisse an, weshalb die Vermutungsfolge eintrat, dass sich das Steuerdomizil weiterhin in Luzern befand. Das Bundesgericht bestätigte die Anwendung dieser natürlichen Vermutung und wies darauf hin, dass Person A hätte darlegen können, dass der Lebensmittelpunkt bereits in den Vorperioden falsch festgelegt wurde (Widerlegung der Vermutungsbasis) oder sich die Verhältnisse 2009 massgeblich geändert hätten (Widerlegung der Vermutungsfolge).

Das Urteil verdeutlicht die Voraussetzungen für einen Steuerdomizilwechsel im Zusammenhang mit Wegzug-Sachverhalten. Die steuerpflichtige Person muss im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht die Voraussetzungen für die Begründung eines neuen Steuerdomizils substantiiert darlegen. Gelingt ihr dies nicht, trägt sie die Folgen der Beweislosigkeit.

Praxisfall: Zuzug-Sachverhalt

Im Urteil BGer 2C_533/2018 vom 30. Oktober 2019 ging es um das Ehepaar A.B., das in Nidwalden eine 4,5-Zimmer-Wohnung gemietet hatte, während die Ehegattin in Solothurn ein Einfamilienhaus besass. Der Ehegatte arbeitete als Augenarzt in Nidwalden, die Ehegattin war zu 70% in Solothurn tätig. Da die Steuerbehörden des Kantons Solothurn das Hauptsteuerdomizil im Kanton Nidwalden anerkannten, ist anzunehmen, dass die Ehegattin teils in Nidwalden lebte, während der Ehegatte sich nicht oft im Kanton Solothurn aufhielt.

Im Jahr 2014 änderte sich die Erwerbssituation des Ehegatten durch einen Motorradunfall, der ihn das ganze Jahr erwerbsunfähig machte. Die Steuerbehörde des Kantons Solothurn schloss daraufhin, dass sich das Hauptsteuerdomizil des Ehepaars nun in Solothurn befände. Das Bundesgericht folgte dieser Auffassung jedoch nicht. Der Umstand, dass sich die Erwerbssituation änderte, war nicht ausreichend, um den Wohnsitz zu verlagern. Zudem hatten die Behörden die Wohnsituation der Ehegatten zu wenig berücksichtigt und konnten deren Unrichtigkeit nicht belegen. Laut den Ehegatten hielt sich die Ehegattin 2014 drei Tage pro Woche in Nidwalden auf, und der Ehegatte blieb dort, da der Aufenthalt im Einfamilienhaus in Solothurn aufgrund seines Unfalls schwierig war. Das Bundesgericht stellte fest, dass sich durch die veränderten Umstände die Bindung zum bisherigen Domizil im Kanton Nidwalden sogar verstärkte, und hiess die Beschwerde gegen den Kanton Solothurn gut.

Das Urteil verdeutlicht die Voraussetzungen für einen Steuerdomizilwechsel im Zusammenhang mit Zuzug-Sachverhalten. Die Steuerbehörde des Zuzug-Kantons hat zu beweisen, dass sich die massgebenden Verhältnisse geändert haben. Gelingt ihr dies nicht, trägt sie die Folgen der Beweislosigkeit und es bleibt beim bisherigen Steuerdomizil. Das gilt jedenfalls dann, wenn die steuerpflichtige Person ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen des Zumutbaren nachgekommen ist.