Geltende Regeln bei Amtshilfeersuchen
In den letzten Jahren wurde der Austausch von steuerlichen Informationen durch den Ausbau von bestehenden und der Schaffung von neuen Instrumenten massiv verstärkt. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft ist die Verhinderung von Steuervorteilen in Folge bewusster Verheimlichung von Steuerdaten des einen Staaten gegenüber dem anderen Staat durch den Steuerpflichtigen.
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Historisch ist das Instrument der Amtshilfeersuchen für diese Zwecke bekannt. Neu wurden in den letzten Jahren der automatische und der spontane Informationsaustausch geschaffen. Die Regeln für die Amtshilfe wurden im Zuge der Neugestaltung des Informationsaustausches zwischen den Staaten ebenfalls angepasst und erweitert. Die neuen Regeln der Amtshilfe in Steuersachen verbunden mit dem neuen Selbstverständnis der staatlichen Behörden in Bezug auf den Austausch von Steuerinformationen führte in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Bundesgerichtsentscheiden, welche die Anwendung und Regeln für die Amtshilfe neu definierten und diese an die Entwicklungen im internationalen Steuerrecht anpassten. Nachstehend wird diese Entwicklung aufgezeigt und die heute bestehenden Regeln und Prinzipien dar-gestellt.
Die Amtshilfe soll den Steuerbehörden helfen, das innerstaatliche (Steuer-)Recht mithilfe von Informationen durchzusetzen, welche sie von ausländischen Steuerbehörden bekommen. Bei Amtshilfeersuchen erfolgt dieser Informationsaustausch für steuerliche Zwecke aber nicht automatisch oder spontan zwischen den Staaten, sondern ein Staat liefert eine Information nur auf konkrete und begründete Anfrage der Steuerbehörden eines anderen Staates hin. Rechtsgrundlage für die Amtshilfe sind die bilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (kurz DBA). Innerstaatlich regelt in der Schweiz das Steueramtshilfegesetz (StAhiG) und die Steueramtshilfeverordnung (StAhiV) den Vollzug der internationalen Amtshilfe.
Bei der Behandlung eines Amtshilfeersuchens spielen laut Bundesgericht nachfolgende Regeln eine zentrale Rolle, damit mittels einem Amtshilfegesuch Daten aus der Schweiz an einen ausländischen Staat geliefert werden können:
Identifikation der betroffenen Personen
Seit dem Bundesgerichtsentscheid vom 12. September 2016 (BGE 143 II 136) besteht für die Identifikation der betroffenen Person die Praxis, dass der ersuchende Staat dem ersuchten Staat genügend Informationen liefern muss, damit dieser ohne übermässigen Aufwand die betroffenen Personen ermitteln kann. Wichtig dabei ist, dass der Name der Person nicht unbedingt genannt sein muss bei der Anfrage. Die Bankkontonummer ist ein Beispiel für eine mögliche Identifizierung der betroffenen Person ohne Namensnennung.
Diese Praxis wurde vom Bundesgericht in weiteren Entscheiden bestätigt: Urteil vom 1. September 2017 (BGE 143 II 628), Urteil vom 9. April 2018 (2C_646/2017), Urteil vom Bundesverwaltungsgericht vom 30. Juli 2018 (A-1488/2018).
Siehe dazu auch unseren Artikel zum BGE 143 II 136
Gruppenersuchen und Listenersuchen
Das Gesetz (StAhiG) sieht grundsätzlich nur das Ersuchen im Einzelfall und das Gruppenersuchen vor. Gemäss Rechtsprechung lässt sich daraus aber nicht schliessen, dass Amtshilfeersuchen, die eine Mehrzahl von Personen betreffen, bei denen es sich aber nicht um Gruppenersuchen i.S.v. Art. 3 Bst. c StAhiG handelt, nicht zulässig wären. So seien auch sogenannte «Listenersuchen» zulässig. Damit hat die Rechtsprechung eine zusätzliche Typologie von Ersuchen geschaffen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Arten von Ersuchen nicht ganz einfach. So führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheid vom 30. Juli 2018 (A-1488/2018) aus, dass Ersuchen, die mehrere namentlich bekannte Personen betreffen, die in einem nahen Verhältnis zueinander stehen (z.B. Ehegatten oder eine Gesellschaft und deren Inhaber), in der Regel als Einzelersuche behandelt werden. Erfolge die Identifizierung der betroffenen Person(en) nicht mittels Namen, sondern beispielsweise über eine Kreditkarten- oder Banknummer, handele es sich ebenfalls um Einzelersuche.
Bei Gruppenersuchen kennt die ersuchende Steuerbehörde die Namen und Adressen der betroffenen Personen nicht. Es bezieht sich im Gegenteil auf eine unbestimmte Anzahl steuerpflichtiger Personen, die nicht einzeln, sondern lediglich anhand eines identischen Verhaltensmusters identifizierbar sind (Art. 3 Bst. c StAhiG; Urteil BGE 143 II 628 vom 1. September 2017, Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018). Dabei muss das Gruppenersuchen gemäss Bundesgericht folgende Kriterien erfüllen, damit es zulässig ist und
keine «fishing expedition» bzw. Beweisausforschung (Art. 7 lit. a StAhiG) darstellt (A-1488/2018;
BGE 143 II 628; BGE 143 II 136):
- Das Ersuchen muss eine detaillierte Beschreibung der Gruppe enthalten, die die spezifischen Tatsachen und Umstände beschreibt, die zum Ersuchen geführt haben.
- Es muss das anwendbare Steuerrecht und die Motive nennen, die es erlauben, davon auszugehen, dass die Steuerpflichtigen, die in diese Gruppe fallen, ihre steuerlichen Pflichten nicht erfüllt haben.
- Es muss aufzeigen, dass die verlangten Informationen geeignet sind, für die Erfüllung der Pflichten zu sorgen.
Das Listenersuchen ist ein Zwischending: Es sind Einzelersuche die im Rahmen einer Listenanfrage gestellt werden und bei denen die Identifikation anders als durch den Namen, z.B. durch Angabe der Kontonummer erfolgt. Es wird also eine Anzahl von Personen in den Blick genommen, von welchen nur wenige Angaben bekannt sind (Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018). Im BGE 143 II 628 beinhaltete das Ersuchen beispielsweise eine Liste mit neun Kreditkartennummern. Das Bundesgericht hielt fest, dass es sich dabei nicht um ein Gruppenersuchen mit Identifizierung über Verhaltensmuster handelt, denn das Amtshilfeersuchen betreffe eine bestimmte Anzahl Personen, die mittels Kreditkartennummer identifiziert würden. Da das Amtshilfeersuchen aber wie bei den Gruppenersuchen, weder Namen noch Adresse der betroffenen Personen nennt, rechtfertige es sich aus Gründen der Kohärenz, die drei obengenannten Kriterien für Gruppenersuchen analog auch auf Listenersuchen anzuwenden.
In mehreren Urteilen festigte das Bundesgericht diese Rechtsprechung: Urteil vom Bundesverwaltungsgericht vom 30. Juli 2018 (A-1488/2018), Urteil vom Bundesgericht vom 29. Oktober 2018 (2C_695/2017).
Illegal erworbene Daten
Die Frage, ob die Schweiz einem Amtshilfeersuchen auch nachkommen soll, wenn die ausländische Anfrage auf gestohlenen Daten beruht, war lange umstritten. Im BGE 143 II 224 vom 17. März 2017 hielt das Bundesgericht fest, dass ein Staat, der schweizerische Bankdaten kauft, um sie danach für Amtshilfegesuche zu verwenden, ein Verhalten an den Tag legt, das nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar ist. Ansonsten sei die Frage, ob ein Staat den Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 7 lit. c StAhiG verletzt hat, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Im Urteil vom 17. Juli 2018 (2C_648/2017) präzisierte das Bundesgericht seine Rechtsprechung: So stelle das blosse Verwenden illegal erworbener Daten durch den ersuchenden Staat noch kein treuwidriges Verhalten dar. Treuwidrig sei das Verhalten des ersuchenden Staates lediglich dann, wenn er dem ersuchten Staat die ausdrückliche Zusicherung gab, passiv erlangte gestohlene Daten nicht für Amtshilfeersuche zu verwenden und sich danach nicht an diese Vereinbarung hält. Somit lässt sich zusammenfassend sagen, dass die ausländischen Steuerbehörden gegen Art. 7 lit. c StAhiG und den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen, wenn sie die gestohlenen Daten gekauft haben und diese für ein Amtshilfeersuchen verwenden oder wenn sie der Schweiz zugesichert haben, keine gestohlenen Daten für Amtshilfegesuche zu verwenden und dies dann trotzdem tun.
Des Weiteren hielt das Bundesgericht im Urteil 2C_648/2017 fest, dass der gute Glaube eines Staates in den internationalen Beziehungen vorausgesetzt ist (vgl. auch BGE 143 II 224 und 2C_646/2017). Dies bedeutet, dass grundsätzlich kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung und Erklärungen anderer Staaten zu zweifeln. Bei ernsthaften Zweifeln kann die Schweiz beim ersuchenden Staat nachfragen und allenfalls eine Zusicherung verlangen, dass sich das Ersuchen nicht auf Informationen aus nach schweizerischem Recht strafbaren Handlungen stützt. Jedoch kann es vom ersuchenden Staat nicht als Treuwidrigkeit gewertet werden, wenn er trotz Aufforderung der Schweiz keine solche ausdrückliche Zusicherung gibt, solange er gemäss DBA nicht zur Abgabe einer solchen Zusicherung verpflichtet ist.
Weitere Bundesgerichtsentscheide zum gleichen Thema: Urteil vom 2. August 2018 (2C_819/2017), Urteil vom 21. Dezember 2018 (2C_619/2018).
Siehe dazu auch den NZZ-Artikel vom 2. August 2018
Grundsatz von Treu und Glauben gilt nur zwischen Staaten
Gemäss Bundesgericht gilt im Zusammenhang mit einem DBA zwischen dem ersuchten und dem ersuch-enden Staat der Grundsatz von Treu und Glauben (Urteil 2C_28/2017 bzw. BGE 144 II 206 vom 16. April 2018). Betroffene natürliche oder juristische Personen können sich im Rahmen eines Amtshilfeersuchens nicht auf eine Art Vertrauensschutz (guter Glaube) gegenüber dem ersuchten Staat berufen, wenn z.B. der ersuchende Staat die Zusicherung gab, dass kein Steuerverfahren gegen sie eingeleitet werde.
Subsidiaritätsprinzip
Im Urteil vom 16. April 2018 (2C_28/2017 bzw. BGE 144 II 206) beschrieb das Bundesgericht das Subsidiaritätsprinzip. Dieses besagt, dass die ersuchende Behörde alle in ihrem innerstaatlichen Steuerverfahren vorgesehenen und zu diesem Zeitpunkt nutzbaren Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausgeschöpft haben muss, bevor sie den anderen Staat um Amtshilfe ersuchen kann. Dabei sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Amtshilfeersuchens massgebend. So war es im vorgenannten Bundesgerichtsentscheid mit Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip unerheblich, dass der Steuerpflichtige dem ersuchenden Staat nach der Einreichung des Amtshilfeersuchens seine Daten betreffend Steuern offengelegt hat.
Erhältlichkeits- bzw. Gegenseitigkeitsprinzip
Das Erhältlichkeitsprinzip ist teilweise in den DBA integriert und sieht vor, dass nur Informationen beschafft und herausgegeben werden dürfen, die nach dem Recht beider Vertragsstaaten beschafft werden können. Somit ist die Schweiz als ersuchter Staat nicht verpflichtet ist, Informationen herauszugeben, die nach den Gesetzen oder im üblichen Verwaltungsverfahren des ersuchenden Staates nicht beschafft werden können (Grundsatz der Reziprozität). Die ersuchende Behörde muss darum zu ihrem Ersuchen eine Bestätigung abgeben, dass sie diese Informationen, wenn sie sich in ihrer Zuständigkeit befinden würden, in Anwendung ihres Rechts oder im ordentlichen Rahmen ihrer Verwaltungspraxis erhalten könnte (Art. 2 Abs. 1 lit. j aStAhiV). Liegt eine solche Bestätigung der ersuchenden Behörde vor, darf die Schweiz die Gewährung von Amtshilfe nur dann ablehnen, wenn sie Gründe dafür hat, dass die abgegebene Erklärung klarerweise unzutreffend ist. Im Urteil vom 9. April 2018 (2C_646/2017) kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Niederlande ausdrücklich bestätigt hat, dass sie in der Lage ist, die Informationen in vergleichbaren Fällen zu beschaffen und an die Schweiz weiterzuleiten.
Fazit
In Anbetracht der geltenden Prinzipien und Regelungen erkennt man, dass der Informationsaustausch auf Ersuchen mit Einführung und Verbreitung des automatischen Informationsaustausches (AIA) kaum an Bedeutung einbüssen wird. Im Gegenteil, es ist davon auszugehen, dass die durch den AIA erlangten Informationen, den Staaten neue «Grundlagen» bzw. Anhaltspunkte geben werden, um Amtshilfeersuche bei ausländischen Steuerbehörden zu stellen. Darum ist es wichtig, die Rechtsprechung und Gesetzgebung bezüglich Amtshilfeersuchen weiterhin im Auge zu behalten.