Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs (neues Recht)

Seit dem 1. Januar 2019 ist eine neue Regelung zur Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs nach Art. 23 VStG in Kraft. Sofern der Rückerstattungsanspruch noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, findet das neue Recht auf sämtliche Ansprüche Anwendung, die seit dem 1. Januar 2014 entstanden sind (Art. 70d VStG).

Nun gibt es bereits zwei Bundesgerichtsentscheide über die Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs der Verrechnungssteuer nach neuem Recht.

Im Bundesgerichtsentscheid 2C_1069/2018 vom 23. April 2019 geht es um die steuerpflichtigen Eheleute A.A. und B.A., die in der Steuererklärung 2015 zwar ihre Beteiligung, jedoch nicht die von der Galerie D. ausgeschütteten Dividenden deklarierten. In der Veranlagungsverfügung rechnete die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt daraufhin den Dividendenertrag von 130'000 Fr. auf. Im Veranlagungsprotokoll teilte sie den Eheleuten mit, dass kein Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer mangels ordnungsgemässer Deklaration besteht.

Steuerverfahrensrechtliche Beratung

Im Bundesgerichtsentscheid 2C_37/2019 vom 16. August 2019 geht es wiederum um ein Ehepaar, welches in der Steuererklärung 2015 zwar ihre Beteiligung an der D. AG angab, nicht jedoch, die dazugehörigen in der Steuerperiode 2015 ausgeschütteten Dividenden. Die Steuerverwaltung des Kanton Basel-Stadt rechnete, im Rahmen der Bearbeitung der Steuererklärungen von 2015, die Dividenden auf und informierte das Ehepaar zudem, dass ein Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer infolge Nichtdeklaration ausbleibe.

Abgrenzung zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Nichtdeklaration

Wer mit der Verrechnungssteuer belastete Einkünfte oder Vermögen entgegen gesetzlicher Vorschrift der zuständigen Steuerbehörden nicht angibt, verwirkt normalerweise den Anspruch auf Rückerstattung (Art. 23 Abs. 1 VStG). Gemäss Art. 23 Abs. 2 VStG (neues Recht) tritt die Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs hingegen unter der Voraussetzung nicht ein, dass erstens die Einkünfte oder das Vermögen fahrlässig nicht in der Steuererklärung angegeben wurden und zweitens in einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungs-, Revisions- oder Nachsteuerverfahren nachträglich angegeben (lit. a) oder von der Steuerbehörde hinzugerechnet werden (lit. b). Zudem tritt gemäss Kreisschreiben Nr. 48 der Eidgenössischen Steuerverwaltung die Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs auch dann nicht ein, wenn der Steuerpflichtige die Nichtdeklaration durch eine straflose Selbstanzeige nach Art. 175 Abs. 3 DBG nachdeklariert, unter der Voraussetzung, dass er bezüglich der ursprünglichen Nichtdeklaration fahrlässig gehandelt hat. Diese neue Regelung erfordert dementsprechend eine exakte Auseinandersetzung in jedem Einzelfall, ob fahrlässig oder vorsätzlich nicht deklariert wurde.

Im ersten Entscheid 2C_1069/2018 war es zwischen den Parteien unbestritten, dass sie den Dividendenertrag irrtümlich und somit fahrlässig nicht deklariert haben und die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt hatte den Ertrag aus eigener Feststellung hinzugerechnet. Somit waren die Voraussetzung nach Art. 23 Abs. 2 VStG erfüllt, sodass der Rückerstattungsanspruch nicht verwirkt war. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und dem Beschwerdeführenden Ehepaar sei die Verrechnungssteuer zurückzuerstatten.

Im Ergebnis des zweiten Entscheids 2C_37/2019 wurde die Beschwerde nur teilweise gutgeheissen und vom Bundesgericht zu weiteren Sachverhaltsabklärungen an die Vorinstanz zurückgewiesen, da unklar war, ob es sich vorliegend um eine fahrlässige oder vorsätzliche Nichtdeklaration i.S.v. Art. 23 Abs. 2 VStG handelte.

Zur Abgrenzung von fahrlässiger und vorsätzlicher Nichtdeklaration, hat die Eidgenössische Steuerverwaltung am 4. Dezember 2019 das Kreisschreiben Nr. 48 publiziert. Daneben sind gemäss Bundesgericht die Grundsätze der Steuerhinterziehung anzuwenden. Vorsätzliche oder zumindest vorsätzlich versuchte Hinterziehung von Steuern setzt voraus, dass der Steuerpflichtige mit Wissen und Willen hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale gehandelt hat (vgl. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 und Art. 333 Abs. 1 StGB).

Eventualvorsatz reicht aus, wobei der Steuerpflichtige hier den Eintritt des Erfolgs für möglich hält, jedoch trotzdem handelt und somit den Erfolgseintritt (also eine unrichtige Einreichung der Steuererklärung) in Kauf nimmt, selbst wenn dieser ihm nicht erwünscht ist. Fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er entweder den Erfolgseintritt aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit gar nicht bedenkt oder wenn er auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut (Art. 12 Abs. 3 StGB). Bei Letzterem spricht man von «bewusster Fahrlässigkeit». Die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz kann im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen. Mit pflichtwidriger Unvorsichtigkeit handelt der Steuerpflichtige, wenn er nicht die erwartete Sorgfalt an den Tag legt, die ihm nach den Umständen (Ausbildung, intellektuelle Fähigkeiten, Berufserfahrung, etc.) zugemutet werden kann. Ausserdem ergibt sich aus Art. 48 VStG die Pflicht des Steuerpflichtigen, die Steuerbehörde über alle Tatsachen, welche für den Rückerstattungsanspruch bedeutsam sein könnten nach bestem Wissen und Gewissen zu informieren. Ergibt sich aus den Akten der Steuerbehörden nicht, ob mit der Verrechnungssteuer belastete Einkünfte oder Vermögen fahrlässig deklariert wurden, liegt es am Steuerpflichtigen, sein fahrlässiges Verhalten bezüglich der Nichtdeklaration darzulegen oder mindestens glaubhaft zu machen. Um den Nachweis des Vorsatzes zu bejahen, muss gemäss Rechtsprechung eine hinreichende Sicherheit darüber bestehen, dass der Steuerpflichtige sich über die Unrichtigkeit sowie Unvollständigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung bewusst war. Kann dieses Wissen nachgewiesen werden, gilt die Vermutung, dass er betreffend seiner falschen Angaben auch mit Willen gehandelt hat. Das heisst, der Steuerpflichtige hat absichtlich gewollt oder zumindest versucht, die Steuerbehörden entsprechend zu täuschen und somit eine niedrigere Veranlagung angestrebt (direkter Vorsatz) oder in Kauf genommen (Eventualvorsatz). Ein anderer Beweggrund für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben ist in der Regel kaum erdenklich, weshalb sich die erwähnte Vermutung sehr schwer widerlegen lässt.

Im Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 war zwischen den Parteien strittig, ob die Beschwerdeführer hinsichtlich der Nichtdeklaration der ausgeschütteten Dividenden fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben. Die Beschwerdeführer gaben an, aufgrund der Komplexität ihrer Vermögenssituation, ihres hohen Alters, fehlenden juristischen Kenntnissen sowie aufgrund gesundheitlicher Probleme fahrlässig gehandelt zu haben. Ausserdem hätten sie sich auch im Nachhinein nicht an die zuvor genannte Dividendenzahlung erinnern können. Schliesslich brachten sie vor, dass sie, wenn sie eine Steuerhinterziehung beabsichtigt hätten, besser die verrechnungssteuerfreien Zinsen auf dem Pflichtwandeldarlehen aus der D. AG (mit samt dem Darlehen selbst) nicht deklariert hätten (welche sie vorliegend aber deklariert haben) und nicht die verrechnungssteuerpflichtigen Dividenden. Aufgrund dieser Argumente entschied auch die Steuerverwaltung des Kanton Basel-Stadt, dass, trotz der Höhe der Dividenden (900'000 Fr.), eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit und somit Fahrlässigkeit seitens der Beschwerdeführer vorliege. Für eine vorsätzliche Nichtdeklaration mangele es an der Betrugsabsicht und dem Hinterziehungsvorsatz. Die ESTV war allerdings der Auffassung, der Beschwerdeführer hätte mindestens eventualvorsätzlich gehandelt, weil er Kenntnis von der ausgeschütteten Dividende gehabt hatte resp. hätte haben sollen, weil er seit April 2014 Aufsichtsorgan der Gesellschaft D. AG gewesen sei. Da sich die Vorinstanz nie darüber geäussert hatte, ob die Beschwerdeführer die Dividende eventualvorsätzlich oder nur fahrlässig nicht deklariert haben und es dem Bundesgericht deswegen an Beweisen und Tatsachen fehlte, um den Sachverhalt abschliessend zu würdigen, wies das Bundesgericht die Sache zur erneuten Auseinandersetzung an die Vorinstanz zurück.

Schlussbemerkung

Obwohl die Neuregelung in Art. 23 Abs. 2 VStG an sich zu begrüssen ist und für die Steuerpflichtigen grundsätzlich eine Erleichterung darstellt, zeichnet sich in der neuen Rechtsprechung bereits ab, dass die Abgrenzung zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Nichtdeklaration sich immer wieder als schwierig erweisen wird. Die Abstellung auf ein solches subjektives Element beim Steuerpflichtigen birgt seine Tücken. Gerade bei Fällen, wo die Vorinstanz des Bundesgerichts noch unter altem Recht geurteilt hat, wird diese die Frage der Fahrlässigkeit bzw. des Vorsatzes regelmässig nicht beurteilt haben. Da das Bundesgericht aber keine Kognition hat, um diese Rechtsfrage ohne die nötigen Beweise und Tatsachen zu entscheiden, werden zukünftig wohl noch einige Verfahren wieder an die Vorinstanz zurückgewiesen werden müssen. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung auf diese neue Problematik reagieren wird und ob sie die aktuelle Abgrenzung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz bei Rückerstattungsansprüchen der Verrechnungssteuer beibehält. Nicht zu vergessen ist auch, dass auf noch nicht rechtskräftig entschiedene Rückerstattungsansprüche, welche aber schon vor dem 1. Januar 2014 entstanden sind, noch der aArt. 23 VStG, sowie die alte Rechtsprechung des Bundesgerichts anwendbar ist (vgl. Art. 70d VStG).